Signore Scopuli ermittelt Der Beginn eines übernatürlichen Kriminalfalls im 14. Jahrhundert

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„Bitte, das ist das Geringste, was ich Ihnen anbieten kann, Signore Scopuli“, fuhr die Hausverwalterin fort, „dann war Ihre Anreise, trotz der schrecklichen Umstände, nicht völlig umsonst. Der Graf hätte es so gewollt.“

„Sie haben mich überzeugt“, Scopuli legte beiläufig die Hand über sein Glas und vermittelte damit dem jungen Bediensteten, dass er keinen Rotwein mehr wünschte. „Solange die Carabinieri hier sowieso niemanden vom Anwesen lassen, scheint es mir am sinnvollsten, mir anzuschauen, was der Graf – Gott habe ihn selig – mir so Aufregendes zeigen wollte.“

„Sehr gerne. Bitte lassen Sie es Leandro wissen, sobald Sie mit dem Speisen fertig sind. Während Ihres Aufenthalts steht Ihnen ein Zimmer im ersten Stock zur Verfügung. Leandro wird es Ihnen heute Abend vorbereiten“, sagte die ältere Dame und warf dem Bediensteten einen strengen Blick zu, „Ich wünsche trotz allem einen angenehmen Aufenthalt.“

Das Anwesen des vergangene Nacht verstorbenen Grafen war imposant. Die hohen steinernen Wände des Speisesaals verliehen dem Raum eine erdrückende Schwere. Große Bogenfenster erstreckten sich an einer Seite des Raumes, durch die das spärliche Licht des verregneten Tages einfiel. Regentropfen, die von außen auf die Schreibe klatschten, warfen gespenstische Schatten auf das dunkle Parkett, das bei jedem Schritt der Bediensteten leise knarrte. „Der passende Ort für einen mysteriösen Todesfall“, dachte Scopuli und sagte zum Dienstjungen: „Ich würde nun gerne dieses Gemälde ansehen.“

„Aber natürlich, Signore, folgen Sie mir bitte in den Garten“, erwiderte der Junge mit einem Zittern in der Stimme.

Das eindrucksvolle Gewächshaus, in dem sich das besagte Gemälde befand, lag am Rande des weitläufigen Gartens, umgeben von hohen, verschlungenen Hecken und uralten Bäumen, deren knorrige Äste wie ausgestreckte Arme im Wind schwankten. Scopuli und Leandro betraten das Glasgebäude durch eine schwere, eiserne Tür, die quietschte, als wäre sie seit Jahren nicht mehr geöffnet worden.

Das Innere des Gewächshauses war eine Mischung aus exotischen Pflanzen und blühenden Blumen, deren Farben und Formen eine überwältigende Vielfalt boten. Unbekannte Düfte drangen ins Bewusstsein Scopulis; eine angenehme Abwechslung zu der schweren, moosigen Luft in dem Anwesen. In der Mitte des Raumes hing das mysteriöse Gemälde, das der Graf vor seinem plötzlichen Ableben ihm unbedingt hatte zeigen wollen. Das Bild zeigte eine düstere Szenerie: Eine einsame Gestalt, die in einer stürmischen Nacht vor einer imposanten, gotischen Kathedrale stand, umgeben von teuflischen Kreaturen, die aus den Schatten hervorzukriechen schienen.

„Diese Person“, entfuhr es dem Dienstjungen plötzlich, „die war vorher noch nicht da!“

Scopuli trat näher heran, um das Kunstwerk genauer zu betrachten, als ihm auffiel, dass der Boden rund um das Gemälde mit toten Insekten und kleineren Tieren übersät war. Ihre leblosen Körper lagen in grotesken Haltungen, als hätten sie in ihrem Todeskampf noch versucht, sich von der unheimlichen Darstellung auf der Leinwand zu entfernen. Er konnte nicht anders, als ein Schaudern zu unterdrücken, das ihm den Rücken hinunterlief.

„Leandro, haben Sie das gesehen?“, fragte Scopuli und zeigte auf die toten Tiere.

Der Junge reagierte nicht, sondern starrte wortlos auf das Gemälde vor ihnen.

„Leandro? Was ist los? Was haben Sie geseh-„, Scopuli verstummte als Leandro den Arm hob und auf die Figur auf dem Gemälde zeigte. „Ist das… ist das der Graf? Alfredo?“, Scopuli trat näher an das Gemälde heran. Die toten Insekten knackten unter seinen Schuhen. Er vernahm einen stechenden Geruch. „Das ist er! Und die Farbe dieser Person ist noch frisch! Das kann man riechen und sehen!“

Die beiden tauschten besorgte Blicke aus, das Gewächshaus wirkte noch bedrohlicher als zuvor. Als sie sich umdrehten, um den Carabinieri Bescheid zu geben, bemerkten sie, dass die schwere, eiserne Tür hinter ihnen zugefallen war. Ein Schatten zeichnete sich hinter den Glasscheiben des Gewächshauses ab, entfernte sich rasch in den Regenschauer und verschwand noch bevor Scopuli einen genaueren Blick erhaschen konnte.

Im gedämpften Licht des Gewächshauses schienen die Konturen der Welt zu verschwimmen. Francesco Scopuli rieb sich die Augen, unsicher, ob die Schatten, die über das Glas huschten, real waren oder nur Trugbilder seiner überreizten Sinne.

„Leandro, haben Sie das gesehen?”, seine Stimme klang fremd in seinen eigenen Ohren, gedämpft durch das Dickicht aus exotischen Pflanzen und dem Prasseln des Regens auf dem Glasdach. Doch der Junge reagierte nicht. Starr, mit weit aufgerissenen Augen, fixierte er weiterhin die lebensechte Figur des Grafen im Gemälde. Seine Haare glänzten schweißnass.

Scopuli trat einen Schritt zurück und fuhr sich durch das Haar, bemüht, die aufkommende Panik zu unterdrücken. “Das ist unmöglich”, murmelte er. Das Gemälde schien eine eigene Atmosphäre zu besitzen, eine kühle Brise wehte ihm entgegen, als hätte das stürmische Szenario auf der Leinwand Einfluss auf ihre reale Umgebung.

Dann wurde es plötzlich blendend weiß um ihn herum und fast zeitgleich war ein lautes Donnern zu vernehmen. Das Gewächshaus erzitterte, ein Fenster zersprang und einige Pflanzen verloren ihre Blüten. Auch das Bild fiel vornüber auf den steinigen Boden. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. “Das muss der Wind gewesen sein”, versuchte er sich zu beruhigen, obwohl in seinem Inneren Zweifel nagten.

“Leandro, kommen Sie! Wir sollten erstmal zurück ins Haus. Mit dem Sturm ist nicht zu spaßen”, rief Scopuli und griff an die Stelle, wo er Leandro vermutete. Doch seine Hand griff ins Leere.

Scopulis entsetzter Blick wanderte panisch durch das Gewächshaus. Die Pflanzen peitschten im Wind. Von Leandro keine Spur. Er ging zur Tür und drückte gegen das kalte Metall. Nichts. Sie rührte sich nicht.

Scopuli kehrte zum Gemälde zurück und klemmte es sich unter den Arm. Mit seinen Schuhen trat er die kaputte Scheibe des Gewächshauses ganz heraus und quetschte sich samt Bild durch die entstandene Öffnung.

“Leandro! Leandro!”, rief er während er sich dem Hause des Grafen näherte. Der Wind wehte ihm die Regentropfen beinahe waagerecht ins Gesicht. Nach Sekunden, die ihm wie einige Minuten vorkamen, erreichte er die Terrasse und stand schließlich im Hause des Grafen. Augenblicklich bildete sich vor der Tür eine Pfütze.

Scopuli atmete tief durch, legte das Gemälde auf einen Tisch und verschloss die Gartentür.

“Was war denn das?”, sagte er mehr zu sich selbst und legte vorsichtig den naßen Mantel beiseite und fing an, seine dreckigen Stiefel auszuziehen.

“Ah, Signore Scopuli, ich wollte gerade nach ihnen schi… Ahh!”, setzte die Hausverwalterin an, aber endete in einem lauten Schrei.

Scopuli zuckte zusammen, dreht sich um und blickte in das bleiche Gesicht der Hausverwalterin.

“Was zum…”, entfuhr es ihm etwas ruppiger als er es beabsichtigte.

Doch die Hausverwalterin antwortete nicht. Sie hielt sich ihre linke Hand vor den Mund; mit der anderen zeigte sie auf das Gemälde, was Scopuli auf den Tisch gelegt hatte.

Er stellte sich neben sie und musste scharf einatmen. Er traute seinen Augen nicht.

Das Gemälde zeigte das Innere des Gewächshauses, in dem er sich mit Leandro gerade noch befunden hatte. Und mitten drin, schreiend und mit angstverzerrtem Gesicht, war Leandro, der dem Betrachter seine rechte Hand entgegenstreckte!