Für die stellvertretende Vorsitzende des Aplanischen Rates in Dammstadt reichte kein normaler Kalender aus. Von morgens bis am späten Nachmittag hatte Faefix vierzehn Treffen mit Vertretern von verschiedensten Interessensorganisationen. Mindestens vierzig neue Gesichter würden ihr in ihrer Eigenschaft als Sprecherin des Tüftlerausschusses vorgestellt werden, und die weitaus meisten erwarteten, dass sie Hintergrund und Tätigkeitsfeld, Hoffnungen und wissenschaftlichen Background jedes Einzelnen von ihnen kannte.
Hätte sie noch ihre alte Assistentin Torinha als Rückhalt gehabt, wäre es möglich gewesen, den Erwartungen einigermaßen gerecht zu werden, aber der neue, Hem Jesson, war nicht so gewieft. Dafür war er diskret. Kein einziges Mal, seitdem der Assistent in Faefix Büro arbeitete, hatte er irgendetwas angesprochen, das auch nur im Entferntesten privat war. Er war ein Roboter durch und durch, im wahrsten Sinne des Wortes. Richtig warm miteinander wurden die beiden daher bisher noch nicht.
Die Gruppe, die aktuell vor Faefix saß, hatte schon ihre Runde im Regierungsviertel der Stadt gemacht: Erst war sie bei dem Iyubetischen Königspaar gewesen, und jetzt waren Vertreter der zweiten Regierung und damit sie, Faefix Longkind, an der Reihe. Die Delegation der violetten Akademie tat alles, um Faefix über mögliche Gesundheitsschäden von unsachgemäßer Raffinierung des Viols, über Effizienzgrade und Experimenten zu neuartigen Antrieben ins Bild zu setzen – Letzteres schien ihr Hauptanliegen zu sein.
„Wir sind uns den Gefahren voll bewusst“, sagte der Sprecher, „Wir wissen auch, dass insbesondere das Iyobetische Königspaar Meinungen vertritt, die sich generell gegen das Experimentieren mit den magischen Potentialen des Viols außerhalb der Akademie richten. Aber wir sind dringend angeraten, uns mit dem Thema zu beschäftigen!“
Der Name des Vortragenden war Nulan Dakhal. Er war ein eleganter Mann. Die Tatsache, dass er eine Maske trug, machte das Schätzen seines Alters unmöglich. Es sprach allerdings dafür, dass es sich um einen erfahrenen – und damit hochrangigen – Vertreter des violetten Rates handeln musste, der die Spuren der jahrelangen Violforschung nicht in der Öffentlichkeit zeigen wollte. Das Dossier über ihn verriet, dass er der Gründer des Alchemistenzirkels Terebra nahe Schirwindt war – eine Vereinigung, die sich der Erforschung des großen Dunstes, der den Kontinent umgab, verschrieben hatte. Sobald er neue Ideen hatte, stand er in den Büros der Regierungschefs in Dammstadt und warb für finanzielle Zuwendungen.
Den Rest der Delegation kannte sie nicht. Aber ihr fiel auf, dass hinter dem Wortführer ein jüngerer Gnom stand und sie die ganze Zeit anstarrte. Er ergänzte die Ausführungen des Sprechers gelegentlich, wirkte aber sonst eher wie ein Beobachter. Ein nervöser Beobachter.
Dakhal bemerkte Feafix Blicke: „Das ist Niq Qura, unser bester Partner bei der Zusammenarbeit an der Laborfront. Sein Name klingt nicht gnomisch, aber er ist es durch und durch“, stellte ihn Dakhal mit einem Lächeln vor.
„Niq Qura, ein interessanter Name“, sagte sie. Er lächelte. „Sie arbeiten in einem der Labore?“. An dieser Stelle unterbrach sie Dakhal. Er wollte seine wenigen kostbaren Minuten verteidigen. Die nächste Delegation wartete bereits vor der Tür und niemand wusste, wann sich die nächste Gelegenheit für ein solches Gespräch bot. Es ging um Geld und teuer investierte Zeit.
„Niq ist der Besitzer eines kleinen Labors. Des besten Labors in der Aplanischen Republik. Das heißt, klein ist es eigentlich nicht mehr, seitdem du die Neubauten bekommen hast“, sagte er an den Gnom gewandt, der lächelnd den Kopf schüttelte. Es war ein gezwungenes Lächeln. „Wir bitten um die Erlaubnis, Ihnen als hochrangiges Mitglied des Rates diesen Bericht hier dazulassen“, fuhr Dakhal fort, „Vielleicht finden Sie die Zeit, ihn zu lesen. Für unsere Nachkommen ist es ungeheuer wichtig, das geschilderte Problem jetzt und heute sehr ernst zu nehmen.“
Natürlich, alles war immer ungeheuer wichtig. So auch die Anliegen all der nachkommenden Delegationen. Die Stunden flossen dahin…
Faefix hatte nicht damit gerechnet, Niq Qura in der Kantine wiederzusehen. Offenkundig wartete er dort auf sie. An den übrigen Wochentagen aß sie oben in ihrem Büro, aber freitags traf sie sich seit einem Jahr mit einem Großteil der anderen Mitglieder des Rates. Sie alle waren ausgeglichene Gemüter, die aber jederzeit das Iyobetische Königshaus dazu bringen konnten, rot zu sehen. Allein die Tatsache, dass sie ihr Kaffeekränzchen in aller Öffentlichkeit abhielten, war vielen dort ein Dorn im Auge.
Qura saß allein und halb verdeckt von einer Säule ganz vorn auf einer der schweren Metallbänke und hatte eine Tasse vor sich. Sie blickten sich genau in dem Moment an, als Faefix durch die Glastür trat, und solange sie in der Kantine war, dachte sie an nichts anderes. Als sich die anderen nach ihrem Gespräch erhoben, kam er zu ihr.
„Ich brauche ihre Hilfe. Im Norden bringen wir die Welt zum Kollabieren.“